Der Götze von Glarus oder wie das ESAF die Unschuld verloren hat
Dieser riesige, tonnenschwere Stier aus Holz. Die Bilder sind schon fast verstörend. So etwas hat es in der über hundertjährigen Geschichte der Sägemehlkultur noch nie gegeben.
Max ist ein monumentaler, 20 Meter hoher und 30 Meter langer und gut 180 Tonnen schwerer Stier aus 1200 Kubikmeter eidgenössischem Fichten- und Tannenholz. Mehr als 150 Betriebe und über 1000 Fachkräfte aus Holzbau, Ingenieurwesen, Waldwirtschaft und Schreinerei waren mit dem Bau beschäftigt. Kosten: 3,6 Millionen Franken. In Zeiten, in den beim Eidgenössischen rote Zahlen drohen.
Ein boshafter Vergleich drängt sich geradezu auf: Das riesige hölzerne Tier auf dem Festplatz in Mollis wirkt wie ein Götze der Geschäftemacherei rund um das Hochamt des «heiligen» vaterländischen Sportes. Die Bilder mahnen in beängstigender Manier an die Darstellungen, die berühmte Künstler über ein Ereignis aus dem Alten Testament geschaffen haben: Der Tanz ums goldene Kalb.
Aus dem Buch der Bücher wissen wir, dass die Menschen damals beim Warten auf Moses (er war auf den Berg Sinai gestiegen, um die Zehn Gebote zu empfangen) im frivolen Übermut und aus Vergnügungssucht ein goldenes Kalb modelliert und umtanzt haben. Vermutlich (sicher weiss es niemand) war es ähnlich gestaltet wie der Stier von Mollis, aber das Holz wurde mit Gold überzogen.
Nun wartet mehrere tausend Jahre später das Volk der Eidgenossen ungeduldig nicht auf neue Gesetze, sondern auf den neuen König und hat einen hölzernen Götzen aufgestellt. Dieser frivole Übermut, den wir im hölzernen Götzen erkennen, steht für die verlorene Unschuld des Schwingens. Oder wie es unser aller Gotthelf auf den Punkt gebracht hat: Geld und Geist.
Geldsorgen hat es für den Organisatoren des Eidgenössischen (der Verband überträgt die Durchführung einem juristisch eigenständigen lokalen OK) bis vor drei Jahren nicht gegeben. Um Geld ist weder gesprochen noch gefeilscht worden. Das ist zutiefst uneidgenössisch.
Ja klar, bei drei Eidgenössischen sind in der Vergangenheit rote Zahlen geschrieben worden: 1972 in La Chaux-de-Fonds, 1986 in Sion und 2001 in Nyon. Aber ein Thema in den Medien war das nie. Nicht einmal in der Festhütte vor Ort. Das Defizit ist damals dem welschen Schlendrian zugeschrieben und vor Ort mit Hilfe der Politik diskret, still und leise ausgeglichen worden. Die Welschen können halt nicht Schwingfest. Ein ungerechtes, politisch nicht korrektes, aber zur Sache kommodes Vorurteil.
Und dann der finanzielle Sündenfall, die Vertreibung aus dem Paradies der monetären Seligkeit beim letzten Eidgenössischen 2022 in Pratteln. Dem bisher teuersten der Geschichte. Noch nie ist mehr Geld im Sägemehl verlocht worden. Am Ende musste der Eidgenössische Schwingerverband (ESV) mit gutem Beispiel vorangehen und auf die ihm rechtmässig zustehenden 323'000 Franken verzichten, um auch andere zum Forderungsverzicht zu motivieren. So hoch war der 16-Prozent-Anteil des Verbandes am Ticket-Verkauf für Pratteln.
Unter dem Titel «Ertragsminderung Debitoren-Verluste» hat der ESV in seiner Jahresrechnung diesen Verlust offen einsehbar und transparent auf null abgeschrieben. Das schmerzt bei einem Jahres-Gesamtbudget von lediglich 1,5 Millionen Franken. Aber der sonst unvermeidliche Konkurs des Organisationskomitees wäre einfach zu peinlich gewesen. Ob die Rechnung nun in Mollis aufgehen wird, weiss noch niemand mit hundertprozentiger Sicherheit.
Wie konnte es bloss soweit kommen, dass rote Zahlen auf einmal zum eidgenössischen Hosenlupf gehören wie das Sägemehl? Der Grund ist einfach: Zu viel Geld. Die Kommerzialisierung des Brauchtums frisst ihre Kinder.
Nie war Schwingen populärer und noch nie war so viel Geld im Sägemehl wie heute. Kein anderes Sportereignis in unserem Land boomt wie das alle drei Jahre stattfindenden Eidgenössische. Das zeigen Zahlen aufs eindrücklichste. Es ist der Tanz ums goldene Kalb – pardon: den hölzernen Stier – im helvetischen Sport-Business.
Zug hatte 2019 unter der Regie von Regierungsrat Heinz Tännler einen Rekord-Gewinn von gut drei Millionen Franken (vor Abzug der Helfer-Entschädigung) erzielt. Das macht den Verlust drei Jahre später beim letzten Eidgenössische 2022 in Pratteln im Umfang von 3,8 Millionen Franken und das Bangen um die finanzielle Situation rund um Mollis umso peinlicher.
Aber so ist das halt, wenn zu viel Geld da ist. Um es polemisch auf den Punkt zu bringen: Immer weniger Handwerksbetriebe – Sanitärinstallateure, Schreiner oder Elektriker, Metzger und Bäcker – sind freudigen Herzens bereit, einem Veranstalter mit einem 40-Millionen-Budget gratis oder mit hohen Rabatten zuzudienen. Helferinnen und Helfer sind immer weniger bereit, gratis mitzuarbeiten, damit sich andere die Taschen füllen können. Land gratis für Parkplätze zur Verfügung stellen? Geits no? Viele wollen etwas vom 40-Millionen-Kuchen.
Das Eidgenössische ist eine Wochenend-Veranstaltung, für die inzwischen auch wegen der Präsenz der Geschäftemacher eine riesige Infrastruktur aufgebaut werden muss. Dazu gehört nicht nur eine Arena mit 56'500 Plätzen, die auf- und nachher wieder abgebaut wird. Seit 1961 konstruiert die gleiche Firma (Nüssli) die eidgenössische Arena und sie kann das nur mit Hilfe der Armee kostengünstig tun.
Rolf Gasser vom Zentralvorstand des Eidgenössischen Schwingerverbands sagt, dass die Eintrittspreise, die für Mollis maximal 290 Franken für zwei Tage betragen, ohne die Hilfe der Armee mehr als verdoppelt werden müssten. Die Bereitstellung einer Fläche für gut und gerne 100'000 Besucherinnen und Besucher, die Erschliessung mit Wasser (und Abwasser) und Strom, immer höhere Sicherheits- und Umweltauflagen, die Bereitstellung von Parkplätzen und die Verknüpfung mit dem öffentlichen Verkehr verursachen immense Kosten, die immer weniger mit einer Ertrags-Steigerung kompensiert werden können.
Das Eidgenössische ist an seine Grenzen gestossen. Eine grössere Arena ist schon aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich: Bei 56'500 Besucherinnen und Besuchern muss die temporär aufgebaute Arena eine Belastung von fast 50'000 Tonnen aushalten. Nach Jahren des unbegrenzten Wachstums steht das Eidgenössische Schwingfest vor einer Phase der Konsolidierung und etwas mehr Demut und Bescheidenheit und ein bisschen weniger Kommerz.
PS: Aus dem Buch der Bücher wissen wir, dass damals das goldene Kalb zu Staub zerrieben worden ist. Da sind die Veranstalter von Mollis schon cleverer: Der hölzerne Muni soll verkauft und nicht zu Sägemehl zerrieben werden.
ESAF-Budgets und - Besucherzahlen der letzten Jahre
2004 Luzern
Arena: 45'000 Plätze.
Besucher auf dem Festlände: 100'000.
Budget: 10 Mio. Fr.
2007 Aarau
Arena: 47'000 Plätze.
Besucher auf dem Festlände: 200'000.
Budget: 18 Mio. Fr.
2010 Frauenfeld
Arena: 47'000 Plätze.
Besucher auf dem Festlände: 250'000.
Budget: 21 Mio. Fr.
2013 Burgdorf
Arena: 52'000 Plätze.
Besucher auf dem Festlände: 300'000.
Budget: 25 Mio. Fr.
2016 Estavayer-le-Lac
Arena: 52'000 Plätze.
Besucher auf dem Festlände: 280'000.
Budget: 29 Mio. Fr.
2019 Zug
Arena: 56'500 Plätze.
Besucher auf dem Festlände: 420'000.
Budget: 37 Mio. Fr.
2022 Pratteln
Arena: 56'500 Plätze.
Besucher auf dem Festlände: 400'000.
Budget: 42 Mio. Fr.
2025 Mollis
Arena: 56'500 Plätze.
Besucher auf dem Festlände: 400'000 (geschätzt).
Budget: 45 Mio. Fr. (geschätzt).